Am 1. November 2018 ist das Gesetz zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage (MuKlaG) in Kraft getreten. Regulierer und Gesetzgeber haben in den vergangenen Jahren Entwicklungen wie den sogenannten „Dieselabgas-Skandal“ sowie Geschäftspraktiken großer Konzerne zum Anlass genommen, den Verbraucherschutz im Allgemeinen sowie die Durchsetzung von Verbraucherrechten zu überdenken und neu zu regeln. Anders als z.B. in den Vereinigten Staaten mussten Verbraucher in Deutschland etwaige Schadensersatzansprüche bislang im Wege einer Individualklage durchsetzen. Insbesondere bei Streu- und Masseschäden sehen Verbraucher hiervon jedoch häufig ab, da der Aufwand als zu groß und das Prozesskostenrisiko etwa bei fehlender Rechtsschutzversicherung als zu hoch empfunden wird. Gleichzeitig hat der Dieselabgas-Skandal nach Angabe der VW AG bislang zu 23.800 Verfahren und etwa 6.000 Gerichtsurteilen geführt. Rechtsdienstleister und eigens hierfür gegründete Klägervehikel wie MyRight haben Verbraucher dafür gewonnen, ihre vermeintlichen Ansprüche zwecks gerichtlicher Durchsetzung an diese abzutreten. Als Reaktion auf den Dieselabgas-Skandal sowie die prozessuale Situation hat der deutsche Gesetzgeber nunmehr in den §§ 606 ff. ZPO eine Musterfeststellungsklage eingeführt, mit der betroffene Verbraucher einfacher zu ihrem Recht gelangen sollen.

Vorhandene Verbandsklagemöglichkeiten nach deutschem Recht

Bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung der Musterfeststellungsklage bestand in bestimmten Bereichen die Möglichkeit zur Erhebung von Verbandsklagen. So ermöglicht das Gesetz über Unterlassungsklagen bei Verbraucherrechts- und anderen Verstößen (UKlaG) Verbraucherverbänden, gegen Unternehmen Klagen wegen unwirksamer Allgemeiner Geschäftsbedingungen oder unlauterer Geschäftspraktiken zu erheben.

Zudem haben Kapitalanleger, welche als Ergebnis falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformationen einen Schaden erlitten haben, die Möglichkeit, einen Antrag auf Eröffnung eines Musterverfahrens nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) zu stellen und in diesem die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens anspruchsbegründender oder anspruchsausschließender Voraussetzungen oder die Klärung von Rechtsfragen (Feststellungsziele) zu begehren. Das zuständige Oberlandesgericht lässt das Musterverfahren zu und bestimmt einen Musterkläger, sofern innerhalb von sechs Monaten neun weitere gleichgerichtete Musterverfahrensanträge gestellt werden. Das Musterverfahren wird sodann im Klageregister bekannt gemacht mit der Folge der Aussetzung der übrigen Verfahren bis zu einer Entscheidung im Musterverfahren. Die Entscheidung des Gerichts über die streitgegenständlichen Rechtsfragen haben für die Gerichte 1. Instanz Bindungswirkung. Kapitalanlegermusterverfahren haben allerdings einen eingeschränkten Anwendungsbereich und eignen sich nicht für die Durchsetzung von Kollektivansprüchen in anderen Bereichen. Des Weiteren haben sich nach dem KapMuG eingeleitete Verfahren in der Praxis, so im Fall der Telekom-Anleger, bislang als langwierig und ineffizient erwiesen. In dem Verfahren hatten 17.000 Anleger der Deutsche Telekom Aktie gegen das Unternehmen mit dem Vorbringen geklagt, dieses habe in seinem Prospekt signifikante Risiken verschwiegen. Gleichzeitig gewinnen Verfahren nach dem KapMuG angesichts des Dieselabgas-Skandals erneut an Bedeutung. So haben Anleger der VW Aktie Klagen gegen die VW AG sowie ihre Muttergesellschaft Porsche SE eingereicht, welche Schadensersatzforderungen in Höhe von EUR 9,5 Milliarden betreffen. Zudem haben zwei Aktionäre am Landgericht Stuttgart weitere Klagen gegen die Porsche SE erhoben und die Eröffnung eines Musterverfahrens nach dem KapMuG beantragt. Während das Landgericht den Klägern Schadensersatz in Höhe von insgesamt EUR 47 Mio zugesprochen hat, steht die Entscheidung des Oberlandesgerichts über den Antrag auf Zulassung eines Musterverfahrens noch aus.

Die neue Musterfeststellungsklage nach §§ 606 ff. ZPO

Außerhalb des KapMuG und des UKlaG sah die Zivilprozessordnung bislang keinen kollektiven Rechtsschutz zur Durchsetzung von Ansprüchen bei Streu- und Masseschäden vor. Die neu in den §§ 606 bis 615 ZPO eingeführte Musterfeststellungsklage soll hier Abhilfe schaffen.

Diesbezüglich gewährt das MuKlaG Verbrauchern keine unmittelbare Klagebefugnis, sondern bestimmt, dass qualifizierte Einrichtungen in Form von nach § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UklaG eingetragenen Verbrauchervereinigungen die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens von tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für das Bestehen oder Nichtbestehen von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen zwischen Verbrauchern und einem Unternehmer (Feststellungsziele) begehren können. Danach ist Voraussetzung für die Klagebefugnis, dass die Einrichtung mindestens 350 natürliche Personen oder zehn Verbände aus dem selben Aufgabenbereich als Mitglieder hat, seit mindestens vier Jahren eingetragen ist, in Erfüllung ihrer satzungsmäßigen Aufgaben Verbraucherinteressen weitgehend durch nicht gewerbsmäßige Beratung wahrnimmt sowie Musterfeststellungsklagen nicht mit Gewinnerzielungsabsicht erhebt. Zusätzlich und zur Vermeidung von Missbrauch des Klagerechts schreibt das Gesetz vor, dass die Einrichtung nicht mehr als 5% ihrer finanziellen Mittel durch Zuwendungen von Unternehmen erhalten darf.

Die Musterfeststellungsklage ist nur zulässig, wenn glaubhaft gemacht ist, dass von den Feststellungszielen die Ansprüche oder Rechtsverhältnisse von mindestens zehn Verbrauchern abhängig ist. Die betroffenen Verbraucher können sodann bis zum Ablauf des Tages vor Beginn des ersten Termins ihre Ansprüche zur Eintragung in das Klageregister anmelden. Das Gericht lässt das Musterverfahren zu, sofern innerhalb von zwei Monaten ab Bekanntmachung der Musterfeststellungsklage mindestens 50 potenzielle Anspruchsteller ihre Ansprüche zur Eintragung angemeldet haben. In diesem Fall entscheidet das Gericht über das Vorliegen von anspruchsbegründenden Tatsachen und/oder rechtlichen Voraussetzungen des Anspruchs. Die Feststellungen des Gerichts haben Bindungswirkung für die eingetragenen Ansprüche, sofern die Anspruchsteller die Anmeldung nicht vorher zurückgenommen haben. Stellt das Gericht das Bestehen eines Anspruchs dem Grunde nach fest, müssen die betroffenen Verbraucher in einem nächsten Schritt ihren Anspruch durch Erhebung einer Individualklage durchsetzen oder mit dem beklagten Unternehmen einen Vergleich anstreben. Das mit der anschließenden Klage befasste Gericht ist an die Feststellungen aus dem Feststellungsverfahren gebunden.

Im Hinblick auf den Anwendungsbereich beschränkt das MuKlaG das Klagerecht nicht auf bestimmte Rechtsgebiete oder Anspruchsgrundlagen. Während die Musterfeststellungsklage vordergründig im Hinblick auf den Dieselabgas-Skandal und die hiervon betroffenen Verbraucher eingeführt worden ist, ist denkbar, dass Verbraucherschutzverbände auf diesem Wege beispielsweise Ansprüche nach der DSGVO oder aber kartellrechtliche Schadensersatzansprüche gegen Kartellanten geltend machen, so dass zu beobachten sein wird, inwieweit sich diese in der Praxis bewährt und von Verbraucherschützern in Anspruch genommen wird. Es ist jedoch bereits jetzt davon auszugehen, dass die Musterfeststellungsklage vorwiegend für standardisierte Fälle und Ansprüche geeignet sein dürfte, über deren Grundlage einheitlich befunden werden kann. Im Gegensatz dazu dürfte sie sich nicht so sehr für Ansprüche eignen, welche eine einzelfallbasierte Betrachtung der Umstände und Anspruchsvoraussetzungen (wie beispielsweise die Kausalität) erfordern. Das MuklaG enthält zudem keine Regelungen zum Verhältnis zwischen der Musterfeststellungsklage und den weiteren Verbandsklagemöglichkeiten nach dem KapMuG oder UklaG. Letztere dürften jedoch als Lex specialis Vorrang vor der allgemeinen Musterfeststellungsklage haben.

§ 611 ZPO ermöglicht den Abschluss eines gerichtlichen Vergleiches mit Wirkung für und gegen die angemeldeten Verbraucher. Der Vergleich bedarf der gerichtlichen Genehmigung und wird wirksam, sofern weniger als 30% der angemeldeten Verbraucher ihren Austritt aus dem Vergleich erklärt haben. Allerdings erscheint hier die praktische Umsetzbarkeit der Einigungsmöglichkeit im Rahmen einer auf Feststellung gerichteten Klage ohne Bezifferung eines Schadens als problematisch und dürfe es beklagten Unternehmen erschweren, den Rechtsstreit durch frühe gütliche Einigung beizulegen.

Im Hinblick auf die Kosten des Verfahrens sollten beklagte Unternehmen berücksichtigen, dass der Streitwert für das Verfahren auf einen Betrag von EUR 250.000 begrenzt ist. Dies bedeutet zum einen, dass die im Falle des Obsiegens von der klagenden Einrichtung zu erstattenden Anwaltsgebühren der Höhe nach begrenzt sind und die Beklagte einen Großteil der Kosten in der Regel selbst tragen muss. Zum anderen wird durch das überschaubare Prozesskostenrisiko die Hürde für die Erhebung von Musterfeststellungsklagen herabgesetzt.

Eine erste Musterfeststellungsklage nach dem MuKlaG ist bereits anhängig und vom Bundesverband der Verbraucherzentralen in Kooperation mit dem ADAC gegen die Volkswagen AG eingereicht worden, um zu klären, ob das Unternehmen Verbraucher vorsätzlich schädigte, indem sie in den betroffenen Fahrzeugen manipulierte Software einsetzte.

Weitere Entwicklungen im Hinblick auf Repräsentantenklagen auf EU-Ebene

Auch auf europäischer Ebene hat es zuletzt Entwicklungen im Hinblick auf die Einführung einheitlicher Repräsentantenklagen gegeben. So hat die Europäische Kommission mit ihrem sogenannten „New Deal for consumers“ vom 11. April 2018 den Entwurf einer Richtlinie zu Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG vorgelegt, mit welchem eine Verbandsklage zur Durchsetzung von Verbraucherrechten eingeführt werden soll. Anders als nach dem MuKlaG sollen qualifizierte Einrichtungen wie Verbraucherschutzverbände nach dem derzeitigen Entwurf der Richtlinie befugt sein, zugunsten geschädigter Verbraucher kollektiven Rechtsschutz in Form von Entschädigung oder Nacherfüllung zu begehren. Die Verbandsklage auf europäischer Ebene wäre damit nicht auf die reine Feststellung von anspruchsbegründenden Tatsachen und rechtlichen Voraussetzungen von Ansprüchen begrenzt, sondern als Leistungsklage ausgestaltet. Die Kommission begründet ihren Richtlinienentwurf mit der Notwendigkeit eines einheitlichen Systems kollektiven Rechtsschutzes innerhalb der Europäischen Union mit derzeit divergierenden Mechanismen und Rechtsschutzmöglichkeiten bei Masseschäden. Der Kommissionsvorschlag bedarf der Zustimmung des Europäischen Parlaments und des Rates, welche voraussichtlich nicht vor den Parlamentswahlen im Mai 2019 erteilt werden dürften.

Fazit und Ausblick

Angesichts der derzeitigen Ausgestaltung der Musterfeststellungsklage müssen beklagte Unternehmen nicht die Einführung echten Kollektivrechtsschutzes oder gar einer Class Action nach U.S.-amerikanischem Recht einschließlich des dort etablierten Discovery Verfahrens, Strafschadensersatzes oder ähnlicher Verfahrensgrundsätze befürchten. Als wichtiges Prinzip und im Unterschied zur Class Action in den USA verschafft die Musterfeststellungsklage Verbrauchern keinen unmittelbaren Schadensersatzanspruch gegen das beklagte Unternehmen. Vielmehr müssen diese ihre Ansprüche in Folgeprozessen individuell einklagen. Zudem ist fraglich, ob sich die Musterfeststellungsklage für Sachverhalte außerhalb des Dieselabgas-Skandals, für den das Klagerecht eingeführt worden ist, eignen wird und Musterklagen beispielsweise gegen Finanzinstitute, Versicherungsunternehmen oder zur Durchsetzung von Ansprüchen nach der DSGVO eingesetzt werden. Demnach müssen Unternehmen sich des gesteigerten Prozessrisikos im Zusammenhang mit ihren Geschäftspraktiken bewusst sein und damit rechnen, dass Verbraucherschutzverbände diese in Zukunft gezielter beobachten und bei möglichen Verstößen gegen Verbraucherrechte von ihrem Verbandsklagerecht Gebrauch machen könnten.